interview mit Prof. Dr. Holger Schüttrumpf

Wissenschaftliche Grundlagen für eine nachhaltige Wasserwirtschaft im Einzugsgebiet der Rur

Leiter des Instituts für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der RWTH Aachen

Holger Schüttrumpf

Prof. Dr.-Ing. Holger Schüttrumpf ist Universitätsprofessor an der RWTH Aachen, wo er das Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft leitet. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Hochwasserrisikomanagement, Küsteningenieurwesen, Grundwasserdynamik, Talsperren und Ökohydraulik. Seit über 15 Jahren ist er ein bekannter und zuverlässiger Experte für Kommunen und Verbände im Hochwasserschutz und anderen wasserwirtschaftlichen Fragen u.a. in Deutschland, Europa und weltweit. In jüngster Zeit ist seine Expertise in drei nationale und internationale Forschungsprojekte zum Hochwasserereignis 2021 wie EMFloodResilience (Interreg), KAHR (BMBF) und HoWas2021 (BMBF) eingeflossen.

Willkommen Holger, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mit uns zu sprechen. Könnten Sie den Lesern ein wenig über sich erzählen? Mit welchem Institut arbeiten Sie zusammen und woraus bestehen die Hauptforschungsthemen?

“Ich bin Bauingenieur. Vor vielen Jahren habe ich an der Technischen Universität Braunschweig das Studium des Bauingenieurwesens mit den Schwerpunkten Küsteningenieurswesen und Wasserbau begonnen. Seit 2007 bin ich Leiter des Instituts für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der RWTH Aachen. Generell beschäftigen wir uns mit allen Themen der wasserbaulichen und wasserwirtschaftlichen Forschung, wie Hochwasserschutz und Hochwasserrisikomanagement, Talsperren und Wasserkraft. Außerdem führen wir Forschungsarbeiten zum Sedimenttransport durch. In den letzten Jahren lag der Schwerpunkt auf dem Transport von Mikroplastik. Außerdem forschen wir im Bereich Küsteningenieurswesen und anderen Themen wie Frühwarnung, künstliche Intelligenz und Fernerkundung. Wir verfügen über ein eigenes Hydrauliklabor, in dem wir experimentelle Modelle durchführen und unsere eigenen numerischen Codes entwickeln, aber wir arbeiten auch auf lokaler, regionaler, europäischer und globaler Ebene, wo wir numerische Codes anwenden oder Feldmessungen durchführen.”

Als Forschungsinstitut konzentrieren Sie sich auf Forschungsfragen im Hinblick auf eine nachhaltige Wasserwirtschaft, zum Beispiel im Einzugsgebiet der Rur. Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten zukünftigen Herausforderungen für die Wasserwirtschaft im Einzugsgebiet der Rur?

“Wir arbeiten seit Jahrzehnten an der Rur, denn die Rur verbindet die Eifel mit der Stadt Roermond und der Maas und befindet sich in unmittelbarer Nähe zu unserem Institut. In der Vergangenheit haben wir die Entwicklung der Rur unter dem Aspekt der historischen Landnutzung und des Klimawandels erforscht. Eine große Herausforderung für die künftige nachhaltige Wasserbewirtschaftung ist die Frage, wie die Rur unter veränderten Bedingungen bewirtschaftet werden kann. Es gibt große Veränderungen in der Landnutzung, da die Braunkohlegruben, die sich schon immer stark auf die Flüsse in diesem Gebiet ausgewirkt haben, langsam geschlossen werden. Die zweite Herausforderung ist der Klimawandel und die Anpassung unserer Wasserbewirtschaftung an seine Auswirkungen, die dazu führen, dass Überschwemmungen und Dürren häufiger auftreten. In letzter Zeit gab es 2018, 2019, 2020 und 2022 Dürreereignisse und 2021 ein großes Hochwasserereignis. Wir müssen irgendwie ein Gleichgewicht zwischen extremen Nässeereignissen auf der einen Seite und extremen Trockenereignissen auf der anderen Seite finden. Dies ist die Grundlage für unsere Forschung und für die Herausforderungen im Hinblick auf ein nachhaltiges Wassermanagement im Einzugsgebiet der Rur.”

Welche Erkenntnisse aus Ihrer Forschung nach dem Hochwasser von 2021 können im Rahmen von JCAR ATRACE im grenzüberschreitenden Einzugsgebiet der Rur oder in anderen kleineren Flusseinzugsgebieten, die sich Deutschland und die Niederlande teilen, vertieft werden?

"Dies war ein Ereignis, das wir zu unseren Lebzeiten noch nie erlebt haben, was bedeutet, dass wir uns auf ähnliche extreme hydrologische Ereignisse in der Zukunft vorbereiten müssen. Das bedeutet, dass wir auf beide Situationen vorbereitet sein müssen: auf die trockene und die nasse Situation des hydrologischen Zyklus. Da das Rur-Einzugsgebiet ein grenzüberschreitendes Einzugsgebiet ist, ist es wichtig zu bedenken, dass unser Handeln nicht nur Auswirkungen auf unser Land und unsere Umwelt hat, sondern auch auf die Nachbarländer, in diesem Fall die Niederlande. Eine der wichtigsten Fragen lautet daher: Was können wir in Deutschland tun, um uns selbst, aber auch unsere Nachbarn in den Niederlanden zu schützen? Dies gilt auch für andere grenzüberschreitende Einzugsgebiete in den Beneluxländern und Deutschland. Im Rahmen von JCAR ATRACE werden wir uns auf diese Arten von grenzüberschreitenden Einzugsgebieten konzentrieren. Wir wollen herausfinden, welche grenzüberschreitenden Auswirkungen sowohl Hochwasserschutz- als auch Dürreschutzmaßnahmen in einem Land auf die anderen Länder haben werden. Das ist ein wesentlicher Bestandteil von JCAR ATRACE und das, woran wir in den kommenden Jahren weiter arbeiten müssen."

Auf welche Themen wollen Sie sich im Rahmen des JCAR-ATRACE-Programms konzentrieren?

"Eines der Hauptthemen ist das Verständnis der Auswirkungen der stromaufwärts gelegenen Stauseen auf den Hochwasserschutz und die Hochwassersituation in den Niederlanden. Wir haben uns für dieses Thema entschieden, weil wir während des Ereignisses von 2021 einen Zufluss zu unseren Dämmen in der Größenordnung von etwa 1.000 Kubikmetern pro Sekunde hatten. Der Abfluss aus dem Talsperrensystem lag in der Größenordnung von 100 Kubikmetern pro Sekunde, und der Abfluss an der Grenze bei Roermond lag in der Größenordnung von 350 Kubikmetern pro Sekunde. Das bedeutet, dass ein großer Teil des Wassers in den Stauseen gespeichert wurde. Man stelle sich die Situation ohne Stauseen vor! Dann wären weit mehr als 1.000 Kubikmeter pro Sekunde von Deutschland in die Niederlande geflossen, was wahrscheinlich noch mehr Städte stark in Mitleidenschaft gezogen hätte. Ich hoffe, dass wir uns nicht nur auf die Stauseen hier in der Eifel konzentrieren werden, sondern dass wir uns auch auf andere Stauseen konzentrieren können, um eine Übertragung der besten Praktiken, die wir gelernt haben, auf andere Stauseen in den Benelux-Staaten zu ermöglichen, zum Beispiel für die Stauseen auf der belgischen Seite in den flussaufwärts gelegenen Teilen der Maas."

Worin besteht Ihrer Meinung nach der Mehrwert des Wissenskooperationsprogramms JCAR ATRACE bei der Verbesserung der Klimaanpassung und -resilienz im Eifel-Rur-Gebiet und vielleicht auch in anderen Gebieten der Benelux-Staaten und der Nachbarländer?

“Ein einziger Wassertropfen durchquert mehrere Länder. Ein kleiner Teil liegt in Belgien in der Nähe von Raeren, dann fließt das Wasser nach Deutschland und von Deutschland aus über die Rur in die Niederlande, es überquert also alle unsere Grenzen. Aber ein Wassertropfen schert sich nicht um unsere Grenzen, die ein menschliches Konstrukt sind und natürlich nicht Teil des natürlichen Wasserkreislaufs. Ein zweiter wichtiger Aspekt ist das Voneinanderlernen. Als ich früher an europäischen Projekten gearbeitet habe, habe ich festgestellt, dass in dem Moment, in dem wir zusammenarbeiten und verschiedene Aspekte diskutieren, alle von dieser Zusammenarbeit profitieren: die flussabwärts gelegenen Länder, die flussaufwärts gelegenen Länder und ihre Bewohner. Mit JCAR-ATRACE können wir uns auf internationaler Ebene an den Klimawandel und seine Folgen für die Wasserwirtschaft anpassen.”

Diesen Artikel teilen

Holger Schüttrumpf