INTERVIEW MIT PATRICK WILLEMS UND NATHALIE ASSELMAN

Bewertung der Belastbarkeit von Wassersystemen durch Stresstests

Um Überschwemmungen und Dürren erfolgreich einzudämmen, ist es wichtig, die Auswirkungen extremer Wetterereignisse auf Wassersysteme zu verstehen. Stresstests sind ein nützliches Instrument, um zu diesem Verständnis beizutragen. In diesem Artikel erläutern Patrick Willems von der KU Leuven und Nathalie Asselman von Deltares Stresstests im Detail.

Definition von Stresstests

Zusammen sind sie Teil eines internationalen Forschungsteams, das an einem gemeinsamen Ansatz für Stresstests arbeitet, die in regionalen Flusseinzugsgebieten zwischen Flandern und den Niederlanden angewendet werden können. Mit Hilfe von Stresstests lässt sich die Belastbarkeit von Wassersystemen überprüfen, die aufgrund der Folgen des Klimawandels einem erhöhten Druck ausgesetzt sind. Der Klimawandel führt zu extremeren meteorologischen Bedingungen, wie Dürren oder starken Regenfällen, die zu Überschwemmungen führen. Patrick erklärt, wie Stresstests durchgeführt werden: "Man verwendet Computermodelle, um diese extremen meteorologischen Bedingungen zu simulieren. Das Modell berechnet, wie das System darauf reagieren wird. Zunächst wird das Modell anhand historischer Ereignisse validiert, und dann werden die Ergebnisse mit den Messungen verglichen. Wenn diese der Wahrheit nahe kommen, beginnt man damit, dem Modell noch extremere Bedingungen aufzuerlegen und die Auswirkungen auf dieser Grundlage vorherzusagen. Die Idee ist, gemeinsam mit den Endnutzern, z. B. den Wasserbewirtschaftern, herauszufinden, ob wir als Gesellschaft diese Vorhersagen für akzeptabel halten, wenn sie denn eintreten sollten. Auf diese Weise kann man sehen, wie belastbar unser Wassersystem ist. Wenn es unzureichend ist, dann schauen wir uns mögliche Maßnahmen an, um es stressresistenter zu machen, aber das ist dann der nächste Schritt."


Nathalie unterstreicht die Bedeutung eines Risikoansatzes für die Niederlande und die Festlegung von Auslegungsstandards für bestimmte Wassersysteme. Dies kann eine Überschwemmungswahrscheinlichkeit von 1 zu 25 pro Jahr oder eine Wahrscheinlichkeit von 1 zu 100 sein. Es ist jedoch wichtig, nicht nur die Auslegungsbedingungen zu betrachten, sondern auch schwerere Ereignisse. "Im Juli 2021 haben wir gesehen, dass es immer wieder zu Überraschungen kommen kann, dass Regenfälle auftreten können, die viel stärker sind als üblich. Wir wollen verhindern, dass wir von solchen Extremsituationen überrascht werden. Ein Stresstest hilft uns dabei, herauszufinden, wie die Wassersysteme unter extremen Bedingungen reagieren, um eine wirklich große Katastrophe zu verhindern." In den Niederlanden ergänzt der Stresstest den Standard-Risikoansatz, und seine Ergebnisse sollen die Diskussion und die Ausarbeitung möglicher Präventivmaßnahmen erleichtern. In Kombination mit den Erkenntnissen aus den Katastrophenschutzplänen können sie dazu beitragen, Bewohner in bestimmten Gebieten zu warnen oder die Evakuierung zu erleichtern.


Patrick: "Es ist immer eine Kombination aus Eintrittswahrscheinlichkeit und den damit verbundenen Folgen. Je geringer die Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto größer sind die Folgen."

Professor an der KU Leuven

Patrick Willems

Patrick Willems ist Professor an der KU Leuven und hat sich auf die Bewirtschaftung von Oberflächengewässern spezialisiert. Um Wassersysteme widerstandsfähig zu machen, sowohl bei Hochwasser als auch bei Dürren, arbeitet er häufig mit Wassersystemmodellen und führt Risikoanalysen durch. Diese werden eingesetzt, um zuverlässige Klimaanpassungsmaßnahmen zu finden und den Auswirkungen des Klimawandels wirksam zu begegnen. "Wir haben etwa 10 Leute, die an solchen Projekten arbeiten. Einige der Projekte sind reine Forschungsprojekte, aber es gibt auch Projekte, die zum Beispiel von den flämischen Regierungsstellen zu diesen Themen in Auftrag gegeben werden. Die Forschung in unserer Gruppe ist sehr angewandt und praxisnah.“

Fachberaterin für Hochwasserrisikomanagement

Nathalie Asselman

Nathalie Asselman ist von Haus aus physikalische Geografin. Sie begann ihre Arbeit bei Deltares, wo sie wissenschaftliche Forschung mit praktischer Umsetzung verbinden konnte - etwas, das sie während ihrer Arbeit an der Universität als Forscherin vermisst hatte. Als Wissensinstitut steht Deltares an der Schnittstelle zwischen wissenschaftlicher Forschung und der praktischen Anwendung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse in allen Arten von Beratungsprojekten. Ein Beispiel für solche Projekte ist die Analyse des Wassersystems, die Deltares für den Wasserverband von Limburg nach den Überschwemmungen im Juli 2021 in Wallonien, Deutschland und den Niederlanden durchgeführt hat. "Ich habe vor kurzem mein 25-jähriges Jubiläum bei Deltares gefeiert, also passt diese Kombination aus Forschung und deren Anwendung in der Praxis perfekt zu mir."

Aktuelle Entwicklungen

Das Team arbeitet derzeit an einem grenzüberschreitenden Bericht für das Einzugsgebiet, um herauszufinden, was durch frühere Studien bereits bekannt ist und ob dieses Wissen für diesen speziellen Zweck genutzt werden kann, und um die wichtigen Wasserbewirtschafter in dem Gebiet zu ermitteln. Auf flämischer Seite haben Patrick und sein Team im letzten Jahr damit begonnen, und werden nun von Nathalie und ihrem Team auf dem niederländischen Teil des Einzugsgebiets ergänzt. Auf diese Weise können sie sich einen grenzüberschreitenden Überblick über die Funktionsweise der Wassersysteme, ihre Hauptprobleme und die bereits getroffenen Maßnahmen verschaffen. Nathalie erklärt das weitere Vorgehen: "Danach werden wir mit den vorhandenen oder verbesserten Modellen zusätzliche Analysen vornehmen, um die Stresstests durchzuführen. In den Niederlanden haben wir zum Beispiel ein Standardregenereignis von 200 mm in 48 Stunden, das bei allen Stresstests angewendet wird. Dies wird höchstwahrscheinlich durchgerechnet, aber in Flandern gibt es möglicherweise andere Standardereignisse, die untersucht werden. Wir werden das gemeinsam besprechen."


Früher wurden Überschwemmungen und Dürre in den Niederlanden als zwei getrennte Phänomene betrachtet, doch in den letzten Jahren wurde immer deutlicher, dass es sich um zwei Seiten derselben Medaille handelt. Deshalb werden jetzt Stresstests für beide Ereignisse gleichzeitig durchgeführt, was in Flandern schon seit einiger Zeit üblich sein dürfte. Patrick fügt hinzu: "Wir untersuchen auch die Unterschiede in der Methodik zwischen den Niederlanden und Flandern, denn wir haben unterschiedliche Traditionen, was die Modellierung des gesamten Systems angeht. Es geht nicht nur darum, welche Niederschlagsereignisse berechnet werden, sondern auch darum, wie die Prozesse im Wassersystem dargestellt und mögliche Maßnahmen berechnet werden. Welche außergewöhnlichen Ereignisse werden wir wie berücksichtigen? Auf diese Weise lernt man viel voneinander."

Lehren aus Weerbaar Waterland

Patrick Willems hat einige Erfahrung im Umgang mit Überschwemmungen, da er auch als Mitglied eines Expertengremiums für Weerbaar Waterland ("Belastbares Wasserland") tätig war. Dieser Bericht wurde als Reaktion auf die katastrophalen Überschwemmungen in Wallonien, Deutschland und den Niederlanden im Juli 2021 verfasst und soll dazu beitragen, dass Flandern in Zukunft auf extreme Regenfälle und Überschwemmungen vorbereitet ist. Patrick geht auf die wichtigsten Empfehlungen des Berichts ein: "Wir müssen uns besser gegen diese Art von Extremen wappnen. Die folgenden Schritte sollten systematisch für jedes Flusseinzugsgebiet unternommen werden:

  1. Welches sind die derzeitigen und künftigen Risiken in Bezug auf Dürren und Überschwemmungen?
  2. Was halten wir für akzeptable und inakzeptable Risiken? Es ist wichtig, in Gesprächen mit den Beteiligten einen Konsens zu finden.
  3. Definieren Sie klare Ziele: Wenn wir diese Risiken akzeptabel machen wollen, was ist das Minimum, das getan werden muss, um dies zu erreichen? Dazu könnte die Reduzierung eines Mindestprozentsatzes des Wasserabflusses durch mehr Wasserspeicherung und Versickerung flussaufwärts und/oder die Schaffung von zusätzlichem Raum im Flusstal gehören. Sollten die vorgenannten Maßnahmen nicht ausreichen, können auch zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden, z. B. die Erhöhung von Deichen.

Auch die allgemeine Vorsorge sei wichtig, so Patrick. "Wenn Sie unter bestimmten Umständen dennoch mit Überschwemmungen zu tun haben, müssen Sie sicherstellen, dass Sie auch über angemessene Vorhersage-, Warn- und Evakuierungssysteme sowie Krisen- und Interventionspläne verfügen."


Weitere Ratschläge des Weerbaar-Waterland-Berichts beziehen sich auf die Bereitstellung ausreichender Finanzierungen sowie auf eine bessere Steuerbarkeit von Wasser in der Flächenpolitik. Während Maßnahmen in der Wasserwirtschaft bisher top-down vom Wassermanager formuliert wurden, empfiehlt das Gremium im Weerbaar-Waterland-Bericht einen Bottom-up-Ansatz. Die Definition und Bewertung der Risiken gemeinsam mit allen Beteiligten, wie dem Landwirtschafts- und Natursektor, den Städten und Gemeinden, und die Entwicklung eines Aktionsprogramms mit Lösungen, die von diesen Sektoren unterstützt werden, ermöglicht eine stärkere gesellschaftliche Unterstützung. Es wurde auch empfohlen, naturbasierte Lösungen zu bevorzugen, die sowohl für Überschwemmungen als auch für Dürren geeignet sind und auch andere Verknüpfungsmöglichkeiten wie die Verringerung der Erosion und die Verbesserung der Wasserqualität und der biologischen Vielfalt bieten.

Der Wert von JCAR ATRACE

Beide Experten wären zufrieden, wenn der Stresstest erfolgreich durchgeführt wird und die Regierungen zu einer intensiveren Zusammenarbeit sowohl flussaufwärts als auch flussabwärts veranlasst. Nathalie: "Es ist seltsam, dass wir das Flusseinzugsgebiet auf nationale Grenzen beschränken, während Flüsse nicht durch diese Grenzen aufgehalten werden. Stattdessen müssen wir das Problem grenzüberschreitend angehen, um so effektiv wie möglich zu sein. Mit diesem Stresstest wollen wir diese Zusammenarbeit fördern." Patrick: "Ich stimme dem vollkommen zu. Die Empfehlungen von Weerbaar Waterland stehen jetzt auf dem Papier, aber sie müssen noch getestet werden, und der grenzüberschreitende Aspekt muss ebenfalls getestet werden."


Nathalie und Patrick sehen es als eine der Stärken von JCAR-ATRACE an, dass Wissensinstitute auf beiden Seiten der Grenze als Projektmitglieder beteiligt sind, da dies einen effektiven Austausch von Wissen und bewährten Verfahren auf der Grundlage von Wassermanagementtraditionen und -modellen, die in ihren jeweiligen Ländern angewandt werden, ermöglicht. Nathalie: "Wenn wir das Wassermanagement in den Niederlanden betrachten, reicht es nicht aus, es nur aus der niederländischen Perspektive zu betrachten. Die Zusammenarbeit zwischen Wissensinstituten und Regierungen auf beiden Seiten der Grenze erhöht die Erfolgsaussichten". Patrick: Dem stimme ich voll und ganz zu. Das Wichtigste ist, dass wir aus dieser Zusammenarbeit lernen. Ich hoffe, dass diese grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den Niederlanden und Flandern ein Beispiel für andere Regionen in Europa und der Welt sein wird."

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Patrick Willems