Die Flusseinzugsgebiete Vechte, Berkel und Oude IJssel, die sich Deutschland und die Niederlande teilen, sind bemerkenswerte Beispiele für die Herausforderungen und Chancen, die sich aus einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ergeben. Angela Klein, Expertin für Wassermanagement bei Deltares, und Evelyn Lukat, Forscherin für Wasserwirtschaft an der Universität Osnabrück, leiten ein Team internationaler Forscher mit dem Ziel, einige der wichtigsten Herausforderungen und Möglichkeiten für die gemeinsame Vorbereitung auf extreme Wetterbedingungen in diesen regionalen Flusseinzugsgebieten zu ermitteln. Wir sprachen mit ihnen über die Motivation für diese erste Scoping-Studie und erörtern einige ihrer wichtigsten Ergebnisse.

Expertin für Wasserwirtschaft bei Deltares

Angela Klein

Angela Klein ist Forscherin/Beraterin auf dem Gebiet des Hochwasserrisikomanagements. Sie schloss ihr Masterstudium der Wasserwirtschaft an der TU DELFT im Jahr 2022 ab. Davor hat sie acht Jahre lang in der Erdölindustrie in Deutschland und Belgien in verschiedenen Ingenieurspositionen gearbeitet. Bei Deltares arbeitete sie an der Quantifizierung von Schwammeffekten im Einzugsgebiet der Geul und ist im JCAR ATRACE Programm sowohl in Projekten als auch im operativen Managementteam sehr engagiert. Derzeit leitet sie gemeinsam mit einem Kollegen die Erstellung eines Aktionsplans für einen grenzüberschreitenden überregionalen Stresstest für das Einzugsgebiet der Vechte. Sie hat Erfahrung mit hydrologischer Modellierung, GIS und Systemanalyse.

Forscherin für Wasserwirtschaft an der Universität Osnabrück

Evelyn Lukat

Evelyn Lukat ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin in der Forschungsgruppe Ressourcenmanagement am Fachbereich Geographie und Mitglied des Forschungszentrums für Umweltsystemforschung an der Universität Osnabrück. Ihre Forschung konzentriert sich auf die Steuerung und das Management von integrierten Umweltsystemen, insbesondere Wasser und Landwirtschaft. Ein wichtiger Teil ihrer Arbeit ist der Einbindung von Interessengruppen in Forschung und Management gewidmet. Derzeit ist sie an dem von PRIMA finanzierten Projekt REACT4MED beteiligt, in dem sie den intradisziplinären Forschungsansatz für acht Fallstudien im Mittelmeerraum entwickelt und leitet. In ihrer Doktorarbeit beschäftigt sich Evelyn mit dem Zusammenspiel zwischen formellen und informellen Institutionen in Prozessen des Institutionentransfers. Im Rahmen dieser Arbeit analysiert sie die Umsetzung der Prinzipien des Integrierten Wasserressourcen-Managements in Verwaltungssystemen in Deutschland und Südafrika, insbesondere wie Verwaltungssysteme auf lokaler und regionaler Ebene auf die auferlegten Prinzipien reagieren.

"Das Einzugsgebiet der Vechte ist eines der größten regionalen grenzüberschreitenden Einzugsgebiete der Niederlande, zu dem Deutschland und die Niederlande relativ gleich viel beitragen. Aus der Perspektive von JCAR ATRACE wurde es als gutes Studiengebiet identifiziert, das es näher zu untersuchen gilt," erklärt Angela Klein und erläutert die Motivation für die Studie. Das übergeordnete Ziel: die Zusammenführung aller verfügbaren Informationen, um den Status von Hochwasser- und Dürrerisiken und deren grenzüberschreitendes Management zu bewerten. 


Aufbauend auf den wichtigsten ermittelten Wissenslücken stellt die Studie eine Reihe von Folgeaktivitäten vor, die im Rahmen von JCAR ATRACE oder in anderen Forschungsprojekten durchgeführt werden können. Dazu gehören gemeinsame Aktivitäten, die von quantitativen Folgenabschätzungen bis zum Aufbau eines grenzüberschreitenden Grundwasserüberwachungsnetzes reichen. 

7,627 km2

Gesamtfläche des Einzugsgebiets

2.08 millionen

Menschen, die in diesem Gebiet leben

37%

landwirtschaftlich genutzte Flächen

Ein Beispiel für grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Für die Studie wurde ein umfassender Forschungsansatz gewählt, bei dem "eine Mischung aus Literaturrecherche, Einsicht in vorhandene Berichte, Interviews mit den Behörden und anderen Akteuren in dem Gebiet" zum Einsatz kam, erläutert Klein. 


Die Studie verkörpert den Geist von JCAR ATRACE, indem sie regionales Wissen und Perspektiven miteinander verbindet und sich auf das Fachwissen von niederländischen und deutschen Forschungseinrichtungen stützt. Mit Vertretern von Universitäten in Osnabrück, Aachen und Twente nutzte das Studienteam lokale Einblicke und führte Interviews in ihren jeweiligen Ländern. Dies förderte das Verständnis für die kulturellen Nuancen und Governance-Strukturen, die für das Verständnis der Komplexität des grenzüberschreitenden Flussmanagements unerlässlich sind. 


"Wir setzen ein internationales Team ein, eine Mischung aus niederländischen und deutschen Organisationen... Die Idee der Scoping-Studie ist, dass es sich um ein gemeinsames Projekt mit Beiträgen aus beiden Ländern handelt", sagt Klein und betont den kooperativen Charakter der Studie. 


Die Studie zeigt, wie vielschichtig die grenzüberschreitende Zusammenarbeit sein kann. Eine der Ebenen der Komplexität ergibt sich aus den Unterschieden in der Verwaltung des Untersuchungsgebiets. Es ist nicht nur zwischen zwei Ländern aufgeteilt, sondern auch auf mehrere Ebenen innerhalb der Länder selbst. Das Gebiet erstreckt sich über zwei Bundesländer in Deutschland: Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, sowie drei Provinzen in den Niederlanden: Drenthe, Overijssel und Gelderland. Außerdem ist die Hierarchiestruktur in jedem Land anders. Evelyn Lukat von der Universität Osnabrück in Deutschland, die sich eingehend mit Wasserwirtschaft und -management befasst hat, gibt einen Einblick in die Prozesse in ihrem Land. "In Deutschland findet die Entscheidungsfindung auf staatlicher Ebene und nicht in den Organisationen, die die Vorschriften umsetzen, statt. Die Effektivität würde steigen, wenn sowohl die institutionellen Entscheidungsträger als auch die Ausführenden mit im Boot wären. Wir sehen dies in den Niederlanden, wo die Waterschappen diese beiden Funktionen vereinen." 


Lukat geht noch weiter und reflektiert über die Komplexität der Angleichung von Governance-Systemen über Grenzen hinweg: "Es ist unwahrscheinlich, dass man das deutsche Verwaltungssystem an das niederländische System der Wasserverwaltung anpassen kann. Es ist Teil eines größeren Systems, das sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelt und eine besondere Verwaltungskultur aufgebaut hat. Während in den Niederlanden die Entscheidungsfindung auf den unteren Verwaltungsebenen stattfinden kann, harmonisiert die hierarchische Verwaltungskultur in Deutschland die Verwaltung zwischen den 16 Bundesländern und zwischen neun grenzüberschreitenden Partnerländern. Eine solch komplexe Aufgabe braucht Kohärenz."  

Auf bestehenden Plattformen des Wissensaustauschs aufbauen

Die Ergebnisse der Studie brachten mehrere interessante Erkenntnisse zutage. Vor allem die bestehende grenzüberschreitende Zusammenarbeit konzentrierte sich in erster Linie auf das Hochwasserrisikomanagement, wobei angesichts der jüngsten klimatischen Veränderungen die Aufmerksamkeit zunehmend auf den Schutz vor Dürren gerichtet wurde. 


Das internationale Forscherteam trug dazu bei, Erkenntnisse zu sammeln, aber auch komplementäres Wissen hervorzuheben. Stefan Kuks ist Wassermanager bei Waterschap Vechtstromen, einer niederländischen Organisation, die für die regionale Wasserwirtschaft in Twente, Vechtdal und Südost-Drenthe zuständig ist. Darüber hinaus ist er auf nationaler Ebene Vorsitzender der grenzüberschreitenden Plattform für regionale Wasserwirtschaft (GPRW) sowie Vorsitzender des Delta-Programms für räumliche Anpassung. In Bezug auf die Studie hob Kuks mehrere Punkte zum Wissensaustausch hervor, die mit den unterschiedlichen geografischen und klimatischen Gegebenheiten zusammenhängen: "Die Deutschen haben fortschrittliche Methoden für das Management von Wasserknappheit und die Neuzuweisung von Wassernutzungsrechten, einschließlich der Festlegung von Grenzen für die Verfügbarkeit von Grundwasser. Dieser Ansatz steht im Gegensatz zu unserer derzeitigen Praxis in den Niederlanden, was eine Neubewertung unserer Strategien für die Wasserbewirtschaftung und die Zuweisung von Nutzungsrechten erforderlich macht." 


Die Waterschap Vechstromen ist Teil der grenzüberschreitenden Plattform für regionales Wassermanagement (GPRW), die 2011 gegründet wurde und derzeit aus sieben Partnern besteht. Auf deutscher Seite sind dies die Landkreise Borken, Steinfurt, Grafschaft Bentheim und Emsland sowie die Bezirksregierung Münster, auf niederländischer Seite die Wasserbehörde Rijn und IJssel und Vechtstromen. Das JCAR-ATRACE-Programm wird diese Plattform unterstützen, die in der Vergangenheit an verschiedenen Projekten in der Region zusammengearbeitet hat, u.a. an der Entwicklung eines gemeinsamen Frühwarnsystems für Hochwasser. 


Klein und Lukat stellten bereits eine deutliche Bereitschaft zur Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den Niederlanden in dieser Region fest. Doch während der Informationsaustausch gut funktioniert, stellt die Umsetzung dieser Zusammenarbeit in gemeinsame Analysen und Projekte noch immer eine große Herausforderung dar. Fragmentierte Wissenssysteme machen die Sache noch komplizierter und unterstreichen den Bedarf an umfassenden, grenzüberschreitenden Studien, um systemische Dynamiken und Schwachstellen besser zu verstehen. 


"Leider hängt die grenzüberschreitende Zusammenarbeit oft von Einzelpersonen ab, die als Wissensträger fungieren. Aber wenn diese " Bindeglieder " die Systeme verlassen, hinterlassen sie oft eine Lücke", kommentiert Lukat, "und nicht jede Organisation hat die Kapazität, ein Team für die Zusammenarbeit abzustellen, selbst wenn sie entscheidend ist." 

Neue Horizonte?

Die Ergebnisse der Studie sollen nicht nur als Kompass für künftige Forschungen dienen, sondern auch dazu beitragen, die Notwendigkeit einer stärkeren Zusammenarbeit zu verdeutlichen. Für Stefan Kuks "ist es ein wichtiges Ziel dieses Projekts, das Bewusstsein auf beiden Seiten der Grenze zu schärfen und die Aufmerksamkeit der politischen Entscheidungsträger in Deutschland und den Niederlanden zu wecken. Durch die Veranschaulichung der potenziellen Auswirkungen erheblicher Überschwemmungen hoffen wir, die Entscheidungsfindung in der Raumplanung zu beeinflussen und alternative Ansätze zu fördern." 


Diese Botschaft spiegelte den Geist der ersten Präsentation der Studie am 24. April 2024 wider. Die Ergebnisse wurden auf einem Workshop vorgestellt, der passend zur deutsch-niederländischen Grenze in den Räumlichkeiten der EUREGIO in Enschede stattfand. Die teilnehmenden Behördenvertreter von beiden Seiten der Grenze erkannten die Notwendigkeit einer verstärkten Zusammenarbeit an. Nach einer lebhaften Diskussion über die Ergebnisse der Studie bestand ein gemeinsames Interesse, verschiedene Komponenten der empfohlenen weiteren Untersuchungen aufzugreifen. Dazu gehörten ein grenzüberschreitender Stresstest für extreme Hochwasser- und Dürreereignisse, eine umfassende Bewertung des jüngsten Hochwassers zu Weihnachten, ein zukunftssicheres Hochwasser- und Dürrevorhersagesystem, eine wirksamere grenzüberschreitende Verwaltung, die Stärkung der Schwammfunktion der Landschaft zur Abschwächung von Hochwasser und Dürren und eine grenzüberschreitende Grundwasserüberwachung als Beginn einer gemeinsamen Strategie für das Dürremanagement. 


Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Scoping-Studie der Einzugsgebiete von Vechte, Berkel und Oude IJssel eine Wasserbewirtschaftung unterstützt, die sich in Richtung einer umfassenden grenzüberschreitenden Zusammenarbeit weiterentwickelt. Die Studie, die einige der Herausforderungen und das Potenzial für die Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen den Ländern aufzeigt, ist ein spannender erster Schritt in unserem Forschungsprogramm. Da die Regierungen mit immer komplexeren hydrologischen Herausforderungen konfrontiert sind, können internationale Kooperationen - wie JCAR ATRACE - dazu beitragen, diese Herausforderungen zu bewältigen. Der Abschlussbericht der Scoping – Studie wird in Kürze auf unserer Website verfügbar sein.

Angela Klein